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Interview mit Vintage Trouble

Sie bezeichnen das Publikum als fünftes Bandmitglied, wurden als Kombination aus James Brown und Led Zeppelin beschrieben und lieben Spannungen: die kalifornischen Vintage Trouble bringen den Rock’n’Roll zurück auf die Bühne. Ohne Schnickschnack, dafür mit viel Herzblut und Handwerk. Zwischen USA und Portugal haben sich Ty Taylor, Nalle Colt, Rick Barrio Dill und Richard Danielson mit uns unterhalten.

Erst einmal vielen Dank, dass ihr euch die Zeit nehmt für dieses Gespräch! Ich habe mir gerade euren Tourplan angeschaut und der platzt aus allen Nähten, um es mal gelinde auszudrücken. Ihr seid im Moment in Colorado und spielt hier noch zwei Shows, bevor es nach Portugal, Norwegen und dann weiter in die Schweiz geht. Was tut ihr, um auf Tour nicht den Boden unter den Füssen zu verlieren?

Ty: Vitamin B12.

Nalle: [lacht]…das und die Energie von Livemusik hilft. Auftritte geben dir Energie zurück. Das Reisen an sich ist manchmal anstrengend, sicher, aber sobald wir auf die Bühne gehen, ist das vergessen. Das Publikum gibt uns soviel zurück, es ist unser “Payback” [lacht].

Ty: Du musst dir vorstellen, was wir tun, ist unser Hobby und unser Job. Denk an das, was dich am glücklichsten macht im Leben – und wenn du das nun die ganze Zeit machen dürftest? Wie müde würdest du davon? Darin steckt die Antwort auf deine Frage. Du bist dir bewusst, wie glücklich du dich schätzen kannst, dass du genau das tun kannst, was du wirklich willst. Es ist also nicht so hart, wie du vielleicht denkst. Manchmal bist du körperlich erschöpfter als dein Verstand zugibt, weil du dich ständig verjüngt fühlst durch die Geschichten, die du von Fans hörst, wie du ihr Leben verändert hast, oder deine Musik ihnen durch schwierige Zeiten geholfen hat. Diese Momente laden deine Batterie wieder auf.

Richard: Es ist erstaunlich, wie belastbar unser Körper ist. Wir sind uns dessen nicht immer bewusst. Manchmal werde ich schon müde, wenn ich mir unseren Tourplan nur anschaue. Aber dann bist du unterwegs und unser Körper lernt sich anzupassen.

Ihr nennt eure Fans “Troublemaker” – wie sehr seid ihr selbst Unruhestifter?

Ty: Die Fans haben sich diesen Namen selbst gegeben, wir haben ihn nur übernommen.

Richard: Aber als Anführer dieser “Troublemakers” wird es natürlich fast von uns erwartet, dass wir mit gutem Beispiel vorangehen. Auf unserer letzten Tour durch England zum Beispiel haben wir nach jeder Show eine Afterparty organisiert, da wird bis in die Morgenstunden gefeiert und wir sind meistens die letzten, die noch stehen.

Ty: …und manchmal startet die Party schon vor dem Auftritt…

Richard: …ja, also ich würde sagen, wir stiften etwa soviel Unruhe, wie man sich das erhoffen kann.

Ty: Komm mit uns feiern, wenn wir in London sind, dann kannst du dir selbst ein Bild machen!

…ich werde nicht mithalten können, das kann ich dir jetzt schon garantieren!

Ty: Ach, komm schon! Da liegen die richtig guten Stories begraben! Kommst du nach Islington?

Das weiss ich noch nicht, aber ich werde euch sicher nächstes Wochenende am Gurtenfestival sehen, in der Schweiz.

Ty: Wir spielen in der Schweiz?! Wie kommen wir denn dahin!? Das ist ja unglaublich weit weg!

[alles lacht]

Nalle: Bleib einfach neutral, dann klappt das schon.

Nachdem wir das geklärt hätten, lasst uns doch noch auf eure Musik zu sprechen kommen. Ihr habt alle recht unterschiedliche Wurzeln – Ty ist mit Gospel aufgewachsen und hat am Broadway gearbeitet, Rick kommt aus dem Classic Rock und Soul…könnt ihr mir etwas mehr über eure Einflüsse erzählen? Ist euer Sound erst mit der Zeit zusammengewachsen oder wart ihr euch sofort einig, wie Vintage Trouble klingen sollte?

Nalle: Wir waren vor Vintage Trouble alle bereits in diversen anderen Bands. Als wir VT gegründet haben, ging es irgendwie darum, alles loszulassen und unser eigenes Ding zu machen. Wir haben zusammen gespielt und in den ersten fünf Minuten gemerkt, dass die Chemie stimmt und wir eine tolle Energie haben. Wie du gesagt hast, Rick kommt aus der R’n’B/Soul-Ecke, Ty aus dem Gospel, und Richard und ich selber mehr aus dem Blues und Rock’n’Roll…und da ist einfach der Funke gesprungen. Wir haben ganz schnell festgestellt, dass uns die Liebe zum frühen Rhythm’n’Blues verbindet – die späten 50s Sachen wie Ike und Tina Turner, Chuck Berry, Little Richard und all die Künstler, die den Anfang des Rock’n’Roll markiert haben. Kraftvoll, schnell und im Grunde genommen ganz schlichte und aufrichtige Musik.

Richard: Wir sprechen ganz oft von Spannungen. Wie gesagt, jeder von uns hat eine andere musikalische Herkunft und wir sind extrem bedacht darauf, uns in diese Spannung reinzuhängen, anstatt davon wegzusteuern.

Ty: Für mich geht es auch um die Herkunft in einem allgemeineren Sinne. Ich habe zum Beispiel Theater gespielt seit ich 8 Jahre alt war, ich habe in der Kirche zu singen angefangen und bei mir zu Hause wurde soviel Rhythm’n’Blues gehört, dass es mir damals fast zu den Ohren herauskam. Aber das alles hat mich beeinflusst, nicht nur meine musikalische Ausrichtung, auch meine Mentalität und Herangehensweise. Theater oder Musical-Gesang waren nie so wirklich meins – aber die Tatsache, dass ich damit aufgewachsen bin, achtmal pro Woche auf der Bühne zu stehen, hat sich ganz sicher auf meine Ausdauer ausgewirkt. Es ist ein Irrtum zu denken, dass deine musikalische Herkunft definiert, was für ein Musiker du bist. Deine Eltern, deine Schulbildung, deine Lebensauffassung – das alles macht uns aus und trägt zu unseren Spannungen bei.

Richard: Und ganz wichtig ist auch unser Publikum. Wir sagen es ganz oft – das Publikum ist unser fünftes Bandmitglied. Die Chemie und das Zusammenspiel zwischen uns und den Fans haben einen grossen Einfluss auf alles, was wir tun.

Es ist nicht zu übersehen, wie viel Herzblut und Energie ihr in jeden eurer Auftritte steckt. Und ihr scheint extrem aufeinander eingespielt zu sein. Vintage Trouble hat mit Bass, Gitarre, Schlagzeug und Gesang eine sehr klassische Aufstellung und ich persönlich mag das sehr gerne, weil das Handwerk und die Dynamik im Mittelpunkt stehen. Es gibt nicht viel, wohinter man sich verstecken kann. Wart ihr jemals versucht, eure Band zu erweitern, eurer Musik eine neue Richtung zu geben, in dem ihr zum Beispiel Backing Vocals oder eine zweite Gitarre oder Tasten an Bord holt?

Richard: Wir sind eher in die entgegengesetzte Richtung gegangen. Das Experimentieren mit Instrumenten und Strukturen, das haben wir alles schon in früheren Bands gemacht. Ich glaube, was uns abhebt und was wir anstreben, ist unsere Musik auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu reduzieren und so roh wie möglich zu halten.

Nalle: Absolut, wir werden immer der Kern der Band sein. Aber wir spielen eine Menge Festivals und wenn da zum Beispiel ein Künstler auftritt, den wir kennen oder mit dem wir uns anfreunden, dann kollaborieren wir sehr gerne. Als wir in Edinburgh waren, sind wir an unserem freien Tag über diesen jungen Strassenmusiker gestolpert. Er hat Dudelsack gespielt und war so gut, dass wir ihn gefragt haben, ob er mit uns auftreten wollte – er stand also am nächsten Tag mit uns auf der Bühne und es war absolut unglaublich! Aber im Studio, da werden wir hauptsächlich zu viert bleiben.

Richard: Viele Bands tendieren da in eine andere Richtung, alles wird überproduziert. Die Welt ist ein grosser Ort, und es hat genügend Platz für alle. Wir sind nicht hier, um den aktuellen Zustand der Musik zu kritisieren, aber aufrichtigen Rock’n’Roll am Leben zu erhalten hat etwas. Ein Instrument wirklich zu beherrschen, ohne technische Hilfsmittel, das ist immer noch sexy und aufregend.

Das scheint ihr euch ja auch mit eurem Album “The Bomb Shelter Sessions” zu Herzen genommen zu haben. Ihr habt das Album live eingespielt…

Nalle: Ja, das Album haben wir in drei Tagen fix und fertig aufgenommen. Es hat uns 1200 Dollar gekostet, und ich glaube, 500 davon waren für Pizza und Bier. Der Plan war eigentlich nicht, ein Album aufzunehmen – wir wollten nur mal hören, wie wir klingen. Aber wir waren so in Form, dass sich das einfach ergeben hat. Und live aufzunehmen hat uns wirklich geholfen, die Essenz unserer Musik einzufangen. Wir haben übrigens gerade eine Akustik-EP fertiggestellt, “The Swing House Acoustic Sessions”, und die haben wir analog aufgenommen. Ihr werdet eine ganze Menge neuer Songs zu hören kriegen.

Ihr schreibt permanent neues Material, in den drei Jahren seit eurem Debüt muss einiges zusammengekommen sein. Habt ihr die Alben zwei, drei und vier schon heimlich fertig gemacht und diese EP jetzt nur veröffentlicht, um eure Fans zu teasen?

Nalle: [lacht] Vielleicht…! Nein, wie du weisst, betreiben wir unser eigenes Label und haben bislang alles selber veröffentlicht. Nun ist aber vor vier Monaten Don Was auf uns zugekommen, der CEO von Blue Note. Sie wollen eine neue Richtung einschlagen und eine Band wie uns an Bord holen…tja, und so ist es gekommen, dass wir jetzt auf Blue Note Records sind! Wir werden unsere neue Platte also Anfang nächsten Jahres auf Blue Note veröffentlichen.

Um ehrlich zu sein, ich war ziemlich erstaunt, als ich von diesem Deal gelesen habe. Wird Blue Note hauptsächlich den Vertrieb und das Marketing übernehmen oder haben sie auch kreative Mitsprache?

Nalle: Es ist eine Kombination. Wir bleiben als Vintage Trouble Records eigenständig, sind aber mit Blue Note eine Partnerschaft eingegangen.

Bedeutet das, dass der Aufwand, den man als unabhängiger Künstler hat, zu gross wurde und sich nicht auszahlt?

Rick: Nein, eher das Gegenteil ist der Fall. Ich glaube nicht, dass man eine Partnerschaft erreicht, wie wir sie uns mit Blue Note gesichert haben, ohne gute Vorarbeit zu leisten.

Ty: Die investierte Zeit und der Aufwand, den wir geleistet haben, gibt uns einen Vorteil und hat Blue Note gezeigt, dass wir einen Deal wert sind, der uns weiterhin den kreativen Freiraum überlässt. Beide, Don und Doc McGhee [Manager von u.a. KISS, Mötley Crüe, Bon Jovi, Anm. d. Verf], haben von Anfang an gesagt, dass sie nichts verändern wollen, sondern uns eine grössere Plattform geben und das unterstützen wollen, was bereits vorhanden ist.

Nalle: Die Industrie heutzutage ist ein hartes Pflaster – für beide Seiten, Labels und Künstler. Es hat sich alles so sehr auf Liveshows und Tours verlagert, die Leute kaufen und konsumieren Musik nicht mehr auf dieselbe Art, wie das früher der Fall war.

Absolut, und aus meiner Sicht hat auch in der Vermarktung eine massive Verlagerung stattgefunden. Wo früher in Künstler investiert wurde, wird heute in ein Album mit klar definiertem Lebenszyklus investiert. Du hast nur sehr beschränkt Zeit, um dich zu beweisen.

Nalle: Das ist wirklich interessant, uns ist das auch aufgefallen. Wenn du mit Booking Agenten oder Agenturen arbeitest, sprechen die auch immer von der Lebensdauer eines Albums und beschränken diese auf maximal ein Jahr. Komischerweise sind wir seit fast vier Jahren nonstop auf Tour – mit nur einem Album, und wir erreichen immer wieder ein neues Publikum, gewinnen neue Fans. Eine Veränderung in dieser Hinsicht wäre wirklich wünschenswert. Dass man dem Künstler die Zeit gibt, an einem Album zu arbeiten, auf Tour zu gehen.

Ty: Ich stimme Nalle absolut zu, aber darf ich noch kurz etwas nicht-geschäftliches sagen?

[alles lacht] Aber natürlich!

Ty: Danke. Also, wir machen Musik. Wir sind vier Typen. Unterm Strich – das Touren ist super, die Plattenfirmen sind super, die Deals sind super – was zählt ist doch, ob du Leute berührst, ob sie sich verbunden fühlen mit dem, was du tust. Da braucht man gar nicht von Business sprechen. Was wir zu tun versuchen, jeden Tag – mal abgesehen vom Business – wir versuchen, bessere Menschen zu werden, wir versuchen, die Leute im Publikum wirklich wahrzunehmen, Beziehungen herzustellen, so dass wir zu einer Gemeinschaft werden. Es gibt nichts Schöneres für uns, als das Gefühl zu haben, dass unsere Songs und Emotionen einen Nachhall finden und die Leute begleiten, wenn sie ein Konzert verlassen oder sich das Album angehört haben. Die Leute, die deinen Artikel lesen, sollen also wissen, dass – ob sie uns nun schon live gesehen haben oder nicht – sie uns wichtig sind. Wir wollen so viele Menschen erreichen, wie möglich. Ohne Fans gibt es keine Musik, und darum konzentrieren wir uns auf unser Publikum, wir denken nicht nur an das nächste Riff, sondern an die Leute, die vor uns stehen und daran wie wir sie berühren können.

Was zählt ist doch, ob du Leute berührst, ob sie sich verbunden fühlen mit dem, was du tust.

Du solltest in die Politik gehen. Ich habe Gänsehaut nach dieser Ansage…

Ty: Das geht uns auf der Bühne ganz oft so. Okay, wir tragen Anzüge, du kannst die Gänsehaut also nicht sehen. Aber wir brauchen uns nur anzuschauen und wir wissen, wenn wir einen dieser Momente haben. Und manchmal heulen wir auch.

Gutes Stichwort. So ähnlich ist es mir gegangen, als ich mich durch eure Karriere-Highlights gearbeitet und dabei entdeckt habe, dass ihr an Paul Stanley’s 60. Geburtstag aufgetreten seid. Das ist total abgefahren.

Ty: Ziemlich cool, was?!

Nalle: An Gene Simmons’ Hochzeit haben wir auch gespielt. Wir waren seine Hochzeitsband [lacht].

Ty: Paul Stanley hatte angeblich seit 16 oder 17 Jahren mit niemandem mehr gesungen, aber wir hatten herausgefunden, dass KISS während Soundchecks ganz gerne “You Shook Me” zum Besten geben, also haben wir den Song eingespielt und ihn auf die Bühne gebeten. Es war absolut grosses Kino! Er hat uns komplett umgehauen.

Ihr wart ausserdem als Support mit den Rolling Stones, The Who und Bon Jovi unterwegs, habt all die grossen TV-Shows wie Letterman, Leno und Jools Holland abgehakt. Gibt es einen Auftritt oder ein Erlebnis, das ihr anstrebt? Etwas, das euch das Gefühl gäbe, dass ihr alles erreicht habt, was ihr wolltet?

Richard: Das Konzert gestern.

Ty: Ja, dieses Gefühl haben wir jeden Tag.

Interview: Lorena Blattner