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«Punkrock war mein sicherer Himmel»
Frank Turner and The Sleeping Souls eröffneten am Auftakttag des Gurtenfestivals mit einem phantastischen Konzert die Hauptbühne. Er vertrieb den Regen, die ersten Sonnenstrahlen zeigten sich, die Menschenmenge tanzte ekstatisch. Das hat sogar Frank Turner in Erstaunen versetzt. Er strahlt einen tiefen Frieden aus, als wir ihn im Artist Area treffen.
Das ist hier heute mein Büro (er zeigt über die Landschaft). Ist das nicht wundervoll?
Ja, das ist es. Warst du schon öfters am Gurtenfestival?
Sogar schon drei Mal. Einmal auf der Hauptbühne und dann in einem der kleineren Zelte.
Dann gehörst du mit zur Gurtenfestival-Familie.
Es ist ein wundervoller Ort für ein Festival. Einfach nur hübsch. So wie die Schweiz.
Du hast die Hauptbühne am ersten Festivaltag eröffnet, du hast die Sonne rausgelockt, die Leute zum Tanzen gebracht. Das war richtig verrückt.
Das war eine grossartige Menschenmenge. Sie waren so freundlich zu uns. Einfach nur einladend. Wir sind total dankbar.
Vielleicht weil Ihr die Schweizer Flagge aufgehängt habt.
(Er lacht.) Das hatten wir total vergessen. Als wir das Artwork für unser Album gemacht haben, sagten uns viele Schweizer: «Fuck, yeah! Das ist cool!» Ich hab allerdings keine Ahnung, welches Land für das Minus-Feld zuständig ist.
Wahrscheinlich für 30% der Bevölkerung von einigen europäischen Ländern.
Wahrscheinlich.
Wie schaffst du das, immer diese positive Energie zu versprühen? Bist du immer so vor den Konzerten?
Schon, aber weisst du was: Als wir das Album herausgebracht haben, «Positive Songs for Negative People», da haben mich die Leute gefragt: Wer sind denn die negativen Leute? Die Antwort ist: Ich bin das. In meinen stillen Momenten bin ich nicht gerade ein optimistischer Mensch, aber ich fühle, dass ich das sein sollte, also arbeite ich daran, dass ich mich nicht in meiner Negativität verliere. Musik ist meine Therapie und meine Rettung. Es ist das einzige, was mich besser fühlen lässt und ich liebe es. Die Bühne ist der einzige Ort, an dem ich mich wohl fühle. Da weiß ich, was ich zu tun habe.
Ach, deswegen gibst du Tausende von Konzerten.
Definitiv. Vor langer Zeit sagte mir ein Freund, dass die Bühne der einzige Ort sei, wo ich wirklich ich selbst sei, mich anscheinend vollkommen wohlfühlen würde. Er kennt mich wie kein anderer und das war ein wahres Wort, das er da gesprochen hat.
Als ich heute die Leute hab tanzen gesehen in so unterschiedlicher Art, war da auch dieses Pogo-Ding …
Ja, das war cool. Und die Wand der Umarmungen.
Aber Pogo ist auch destruktiv, aggressiv. Du hast ja auch Punk in dir und diese zweite Band, über die du nicht sprechen willst angeblich …
Da können wir gerne drüber sprechen. Das ist okay. Das ist mir jetzt wichtig, das hier zu sagen: Punkrock war für mich immer etwas Positives, historisch gesehen, die Hardcore-Szene in New York in den 80ern, und unser Album ist ein Wink mit dem Zaunpfahl in Bezug darauf, auch wenn das nicht jeder kapiert, aber das ist auch nicht so wichtig. Als ich aufwuchs, war Punkrock für mich eine Flucht – für Leute, die nirgendwo mehr hineinpassten, oder dazugehörten. Ich fühlte mich wie ein Alien, als ich jung war, und ich entdeckte den Punkrock, aber nicht nur die Musik, sondern auch die Gemeinschaft dieser Leute (er sagt: «the wiredest unfucked uncomfortable people»). Punkrock war für mich ein sicherer Himmel – und du denkst: Fuck! Hier gehöre ich hin! Als ich das erste Mal ein Konzert besucht habe, dachte ich: Shit – ich habe meinen Stamm gefunden! Ich hatte so lange nach solchen Leuten gesucht. Kurzum: Es ist etwas Positives für mich. Und wenn’s ans Tanzen geht, da wird’s richtig chaotisch. Meine Mutter hatte Angst vor Punkrock – damals, als ich da hinein geriet – vor dieser Gewalt, aber ich habe ihr es immer wieder gesagt, und ich hab das hier heute in der tanzenden Menge auch wieder gesehen: Ja, es ist irre, aber wenn jemand hinfällt, dann hilft man ihm hoch. Es geht nicht darum, andere zu verletzen. Es geht darum, dass man den Frust rauslässt und die negativen Energien, die du in dieser Welt empfindest.
Wie kann man destruktive Energien heilen? Einfach reingehen, und leben innerhalb der Regeln des Punkrock-Stammes?
Ja, schon, aber von Regeln kannst du nicht sprechen. Punkrock hat keine Regeln oder sollte sie nicht haben, aber ja, begib dich in diese Gemeinschaft hinein. Dort kümmert man sich um dich, jeder für jeden, in dieser Gemeinschaft der Verlorenen, der Gemeinschaft der Fucked-Up-People.
Interview: Helge von Giese
Fotos: Sandra Blaser / konzertbilder.ch