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Interview mit William Fitzsimmons
Wer sich heute Nachmittag aus dem Schatten und vor die Hauptbühne gewagt hat, wurde mit der unvergleichlich rohen Präsenz von Williams Fitzsimmons belohnt. Der Amerikaner ist nicht nur ein talentierter Songwriter, sondern auch ein herzensguter Mensch, wie wir im anschliessenden Gespräch feststellen durften. In seiner Musik, wie auch im Leben – Fitzsimmons spricht über alles. Er kennt keine Allüren, keine Scham und keine Belanglosigkeit. Und genau das macht ihn so unglaublich sympathisch.
Na, das war ja mal eine heisse Show. Wortwörtlich.
Ja, nicht wahr! Soviel Spass hatte ich noch nie an einem Festival! Normalerweise ist es so, dass entweder vor oder nach uns eine Band spielt, die viel aufregender und so viel lauter ist als wir… [lacht] Und das ist total okay.
Also, lauter als du zu sein, ist noch schnell einmal möglich. Aber aufregender…? Da bist du einfach nur zu bescheiden.
[und an dieser Stelle werden wir unterbrochen von einem Philippe Cornu, der vor Fitzsimmons auf die Knie geht und sich bedankt]
Diese Bescheidenheit spiegelt sich auch in deiner Musik wieder. Du zeichnest dich aus durch gezielt eingesetzte Instrumentation und hast ein unglaubliches Gehör für Feinheiten. Diese Fähigkeit, Stille zuzulassen und ganz genau hinzuhören, Worte und Klänge mit Umsicht zu wählen – führst du das hauptsächlich darauf zurück, dass du mit blinden Eltern aufgewachsen bist?
Oh ja, absolut! Ganz sicher.
Die Art und Weise, wie ihr zuhause miteinander kommuniziert habt, die Tatsache, dass man für Gesichtsausdrücke und Gestikulation eine akustische Ausdrucksform finden muss – erklärt das, wie du Geräusche und Klänge heute in deiner Musik verwendest?
Ich bin so froh, dass du das sagst! Ganz genau so ist es. Man sagt, dass nonverbale Kommunikation etwa 70% davon ausmacht, wie wir uns austauschen. Nur schon wie wir zwei jetzt hier sitzen…hätte ich meinen Körper abgewendet, dann würde ich dir deutlich kommunizieren, dass ich an diesem Gespräch nicht interessiert bin. Oder wenn jemand eine Sonnenbrille trägt…Moment, wenn wir schon davon sprechen [setzt seine Sonnenbrille ab]…diese Dinge spielen eine Rolle. Und jetzt stell dir einmal vor, dass ich nie Augenkontakt gehabt habe mit meiner Mutter. Und das ist schwierig… Augenkontakt ist etwas vom Bedeutungsvollsten und Stärksten zwischen zwei Menschen. Wenn du dich verliebst, da passiert so viel über die Augen…
…die verbale Sprache wird überflüssig…
…genau, ganz genau, die Sprache wird überflüssig. Wenn man das wegnimmt, dann hinterlässt das eine grosse Lücke. Musik war in unserer Familie also ein ganz wichtiges Instrument, um diese Kluft zu überbrücken. Meine Mutter und ich haben ganz viele John Denver Songs zusammen gespielt, sie am Klavier, ich an der Gitarre..und das war ein emotionaler Austausch für uns, und nicht einfach nur Spass. Das war Intimität, da waren wir verliebt, als Mutter und Sohn.
Deine Lieder sind extrem persönlich, immer, ohne Ausnahme. Du bist wirklich grottenschlecht darin, dich oder deine Gefühle zu verbergen. Auch wenn ich angestrengt danach suche, da gibt es wirklich keinen einzigen Song, der vom Wetter handelt…
[lacht lauthals] Nein, gibt es nicht, absolut null. Ich hab’s versucht. Ich kriege es nicht hin. Und das kommt vorallem aus der Therapie, davon, dass ich ein Therapeut bin. Für mich gibt es keine andere Art Musik zu machen. Ich glaube, dass du so ehrlich sein sollst, wie nur irgend möglich – nur so hast du eine Chance, mit jemandem eine Verbindung herzustellen
Gibt es Lieder, die du strikte nicht mehr live spielst, weil du dich nicht mehr mit ihrem Hintergrund konfrontieren willst?
Ja. Auf “The Sparrow And The Crow” gibt es solche Lieder. Das war mein drittes Album, das ich unmittelbar nach meiner Scheidung aufgenommen hatte. Da gibt es Songs, die ich wirklich für eine Zeit lang wegstecken musste. Heute nach sieben Jahren habe ich da mehr Abstand.
Hast du andererseits einen Song, der dir das Gefühl gibt, dass du so richtig bei dir bist, wenn du ihn auf der Bühne spielst?
Ja…da gab es einen, vom selben Album. Wenn ich den Titel durch Leute im Publikum erlebe, die dort stehen und mit geschlossenen Augen mitsingen…wenn ich Leute sehe, die beim Hören des Songs das empfinden, was ich empfunden hatte, als ich den Titel geschrieben habe. Das kann ganz schön tief gehen. Es ist wohl auch mein Lieblingssong, den Titel, auf den ich am meisten stolz bin.
Und welcher Song war das?
“I Don’t Feel It Anymore”
Schreibst du jemals Lieder, wenn du glücklich bist?
Nein. Ani DiFranco hat gesagt “Why would I write a song when I’m happy, when I can just go and be happy” Da gibt es einfach nichts zu schreiben. Du willst die positiven Gefühle erleben. So wie hier. Wenn ich an einen Ort komme, wie hier auf dem Gurten – es ist überwältigend, weil es so wunderschön ist. Da wo ich herkomme in Illinois, da ist es so flach, dass du deinem Hund drei Tage lang beim Davonrennen zusehen kannst. Es ist einfach nur flach. Aber hier ist es atemberaubend und das will ich einfach nur geniessen, da mache ich auch keine Fotos. Ich will später nicht auf mein verdammtes iPhone starren und mich zu erinnern versuchen, wie schön es war. So halte ich es auch mit dem Songwriting.
Ich habe mich über die letzten Tage wiedermal durch all deine Alben gehört und..
Ach, das ist ja süss von dir!
…aber natürlich, ich will ja nicht deine Zeit verschwenden. Jedenfalls versetzt mich deine Musik immer in einen Zustand kompletter Entspanntheit und Konzentration. Da entsteht ein Fokus, eine Klarheit…und es gibt nicht viele Künstler, die das auslösen. J. Tillman, Vic Chesnutt und du. Aber dann kommt für mich auch immer ein Punkt, an dem ich mir denke: wird Fitzsimmons denn nie wütend?! Hast du nie das Verlangen, ins Mikrofon zu schreien und so richtig über die Saiten zu hauen?
[lacht] Das hat ein BBC Reporter mal thematisiert. Er hat die Abwesenheit von Wut auf meinen Alben bemängelt. Und ich habe mich natürlich mit meinem Temperament und meiner Wut befasst – es ist nicht so, dass es die nicht gibt. Ganz und gar nicht. Aber Wut ist eine sekundäre Emotion – die Wurzel davon ist Schmerz, Einsamkeit, Hoffnung… mit Wut lässt es sich einfach nicht so gut identifizieren. Ich will an die Wurzel.
Interview: Lorena Blattner