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Interview mit Seasick Steve
Wer Seasick Steve am Samstagabend auf der Zeltbühne erlebt hat, den brauchen wir von der Einzigartigkeit des amerikanischen Musikers nicht mehr zu überzeugen. Zusammen mit seinem langjährigen Schlagzeuer Dan Magnusson hat der gebürtige Kalifornier eine derartige Wucht auf die Bühne gebracht, dass sich auch Bands mit doppelter Kopfzahl und halben Alters zum Schämen in die Ecke stellen können. Es steckt so viel Herzblut und Authentizität in Seasick Steve’s Livepräsenz, dass ihm das Publikum innert Minuten erlegen ist, und so bodenständig und direkt wie auf der Bühne, so haben wir den ungewöhnlichen Künstler auch vor seinem Auftritt angetroffen. Gleich eingangs erzählt er mir, dass er an diesem Nachmittag bereits dreimal geschlafen habe. An drei verschiedenen Orten. Mit fast kindlichem Stolz sagt er das, als wäre er selbst überrascht davon, und bringt mich damit schon zum ersten Mal zum Schmunzeln. Ich bestätige, dass ich ihn gesehen habe, wie er da in seiner Latzhose und mit Baseballmütze im Gesicht unter dem Baum geschnarcht hat. Steve und seine Entourage sind in der Nacht zuvor aus Tschechien angereist, 20 Stunden im Auto. Seasick Steve lässt sich davon nicht viel anmerken. Im Gespräch hört er aufmerksam zu, wischt mir zwischendurch ein Insekt vom Arm (“wollen ja nicht, dass das Ding dich beisst!”) und hat ein schelmisches Funkeln in den Augenwinklen, wenn er sich freut oder in einer Geschichte vereifert. Er strahlt Güte aus, Gelassenheit, und scheint verlegen, wenn er von seinem Erfolg spricht. Da sitzt aber auch ein Mann, der eine Meinung hat und diese mit Bestimmtheit äussert, worüber einen der dicke, gemächliche Südstaaten-Akzent leicht hinwegtäuschen kann.
Steve, ich kann dir gar nicht sagen, wieviel mir das bedeutet, dass du dir die Zeit nimmst für uns. Es ist mir eine solche Ehre, vielen Dank.
Ach, gerne doch, danke Dir!
Es gibt da etwas, das mich speziell neugierig gemacht hat. Du bist in einem sehr frühen Alter mit Musik in Berührung gekommen und es war immer ein zentrales Thema für dich. Wenn man dein Leben und deine Karriere aber von aussen betrachtet, dann hat man den Eindruck, dass Ruhm oder Ambition nie eine Motivation für dich waren…
…ich hatte keine Karriere, ich musste mir darüber also gar keine Gedanken machen! [lacht] Die meiste Zeit, und vorallem in den 70ern, war ich damit beschäftigt, Kinder zu haben. Damals habe ich nicht viel Musik gemacht und mich auf normale Jobs konzentriert. Ich weiss nicht, ob ich diese Ambition jemals hatte, auch als ich jünger war… Lass mich dir was erzählen – fast jeder, den ich jemals getroffen hatte, vorallem die aus den 50ern, wir alle haben angefangen Musik zu machen, um Spass zu haben, Mädchen kennenzulernen vielleicht. Von Ambition war da keine Spur. Heutzutage haben viele Bands bereits ihre Autogramm-Unterschrift geübt und stellen sich in die Startlöcher für den ganzen “Investment-Portfolio-Shit”, bevor sie überhaupt ihre erste Show gespielt haben.
Was war es denn, das dich immer und immer wieder zur Gitarre hat greifen lassen?
Weisst du, die Gitarre war mein bester Freund. Es war zwar keine Ambition da, aber ich habe seit meiner Kindheit Gitarre gespielt, sie war mein einzig wahrer Freund, mit dem ich jederzeit in meinem Zimmer sitzen und spielen konnte. Auch später, als ich älter wurde und Kinder hatte. Musik für mich war immer…ich kann mir gar nicht vorstellen, keine Musik in meinem Leben zu haben. Es ist wie ein Dampfventil, wenn sich Dinge in dir anstauen… Ich weiss gar nicht, was Menschen tun, die keine Musik machen. Ich hole mir die Gitarre und spiele. Und manchmal kommt dabei gar nicht heraus. Ich meine, die meisten Songs, die ich schreibe, sind scheisse. Aber trotzdem, da ist dieses rein/raus. Für mich war es immer das – ein Ort, wo mein Körper hingehen und verarbeiten kann, was ich so mit mir herumtrage.
Ich sage dir, weshalb ich vielleicht keine Ambitionen hatte…weil, weisst du, wenn du etwas anstrebst, dann denkst du darüber nach, du träumst davon… Ich glaube, das einzige, wovon ich geträumt hatte, war – «oh, es wäre schön, mal etwas Geld zu verdienen» und für viele Menschen zu spielen. Mein Traum war so vage, Ruhm hatte ich gar nicht einkalkuliert, dieser Gedanke ist mir nie gekommen. Ich wollte Geld verdienen und für ein Publikum spielen, dass das Berühmtheit mit sich bringen würde und du kein normales Leben mehr hast – daran hatte ich nie auch nur gedacht. Es ist so seltsam…es ist, als ob du in einen Pool springst, und glaubst, dabei nicht nass zu werden. Vielerorts kann ich nicht mehr einfach so mal einkaufen gehen… Mann, das war mir vorher gar nicht bewusst.
Siehst du das als Nachteil des Erfolges?
Nun, es ist ein Teil meines Traumberufs, also darf ich mich nicht wirklich darüber beklagen. Aber ich werde mich nie daran gewöhnen, von Fremden auf die Schulter geklopft zu werden – meine erste Reaktion ist immer «Was habe ich jetzt wieder angestellt?!». Aber wie gesagt, ich darf mich nicht beklagen, es ist Teil meines Jobs.
Hast du in deinem Leben jemals die Hoffnung verloren?
Im Bezug auf die Musik? Ja! Ich meine, ich war immer ein optimistischer Typ, aber ich hatte nie gedacht, dass ich in 40 Jahren das tun würde, was ich heute mache. Ich habe mir ernsthaft gedacht, wer würde mich wollen?
Hat sich dein Songwriting verändert, als es plötzlich nicht mehr nur deine Familie und ein paar Kerle in der Dorfkneipe waren, die deine Lieder hören würden, sondern Hunderttausende von Menschen?
Nope. [lacht] Und das ist genau das Merkwürdige – ich habe immer diese verrückte Musik gespielt und… lass es mich so sagen, ich war in der Lage einen Raum in nur wenigen Minuten komplett zu räumen. «Will jemand meine Songs hören?» und schwupps, alles leer. Und dann plötzlich interessieren sich Leute für diesen Kram, der früher alle vertrieben hat… Einen Unterschied gibt es aber vielleicht doch: wenn du weisst, dass viele Leute auf deine Arbeit warten, dann ist das motivierend. «Wow, da gibt es Leute, die mein Zeugs hören wollen! Woohoo!»…du hast plötzlich einen Grund, immer weiter Songs zu schreiben. Wenn nicht einmal dein Hund deine Sachen hören will und sich niemand interessiert, dann machst du das wirklich nur für dich selbst…oder halt eben nicht.
Spielst du deiner Frau oder deinen Söhnen neues Material vor, bevor du entscheidest, ob du es veröffentlichen willst?
[lacht lauthals] Nein. Ich habe früher ständig zuhause gespielt und ich erinnere mich, wie ich im Wohnzimmer irgendwelche Songs spielte und meine Kinder nur gelangweilt die Hände verworfen haben. Für sie war ich wie eine Lavalampe, die in der Ecke steht und Lärm macht. Ich wurde eher als Teil der Einrichtung angesehen…«da ist unsere Lampe, da ist unser Dad, da ist unser Sofa», so in dem Stil.
Für meine europäischen Ohren hört sich deine Musik durch und durch Amerikanisch an und…
Für meine auch! So nenne ich meine Musik auch. Die Leute sagen immer, ich spiele Blues und ich muss ihnen sagen, nein, ich spiele einfach amerikanische Musik – was auch immer das ist. Ich bin deiner Meinung!
Und trotzdem, die Art und Weise wie du zum Beispiel die Slide Guitar spielst, ist ganz tief im Delta Blues verwurzelt, und der wiederum ist in Tennessee und Mississippi entstanden – eine Gegend, die du nur allzu gut kennst.
Oh ja, ich habe einen Grossteil meines Lebens dort verbracht!
Heutzutage lebst du in Norwegen und England…
Ja, aber das ist, weil meine Frau von Norwegen kommt und wieder nach Hause wollte. Also gut, sagte ich, und jetzt sind wir halt hier.
[lacht] Hat sie dich gezwungen?
[lacht] Ach, weisst du, ich will verheiratet bleiben. Ausserdem kümmert es mich einen Dreck, wo ich lebe.
Hat dich die britische oder norwegische Musik in deiner Arbeit beeinflusst?
Nein, ich glaube nicht. Norwegische Musik sicher nicht. Ich meine, ich mag die Beatles, die Stones, Led Zeppelin…und die Animals. Aber ich weiss es wirklich nicht. Ich funktioniere ein bisschen wie ein Schwamm, vielleicht habe ich Einflüsse aufgenommen, ohne es gemerkt zu haben.
Hast du jemals ein Instrument gekauft, das du nicht komplett auseinandergenommen und wieder zusammengepflastert und stattdessen einfach nur gespielt hast, wie das normale Leute tun?
Ja…lass mich überlegen…ja, ich habe eine alte Gitarre. Gut, ich habe sie angemalt und so, aber ja, die ist normal! Ich zerstöre sie nicht alle. Ich habe übrigens gerade aus einem Waschbrett eine Gitarre gebaut, die werde ich heute Abend spielen! Mein Sohn kam damit an und ich dachte mir sofort, irgendwie muss man daraus doch eine Gitarre machen können.
Deine Frau muss die Haushaltskammer mit einem Doppelschloss verriegelt haben…
[lacht] Nein, nein. Ich hab genügend Kram in meiner Werkstatt, noch. Und Leute wollen mir immer irgendwelchen Plunder andrehen, und denken, dass das mein Markenzeichen ist, aber darum geht es gar nicht! Ich mag einfach Dinge, die nicht gut funktionieren. Du weisst nicht mal, ob du es bis zum Ende des Songs schaffst damit – das ist, was ich mag.
Ich bin froh, dass du das sagst. Dieses Rohe und Einfache spiegelt sich ja auch in deiner Musik. Gerade vor ein paar Tagen habe ich eine Band live gesehen, die einfach alles über-intellektualisiert hat – nach zwei Liedern war ich erschöpft und gelangweilt. Es scheint im Moment eher wenige junge Künstler zu geben, die diese rohe und unverschnörkelte Energie haben, wie sie bei dir und zum Beispiel auch bei Link Wray zu finden ist.
Hm, ich kennen einen Typen, den du dir anhören musst. Er hat auch auf meinem letzten Album gespielt…die Band heisst The Ben Miller Band. Sie eröffnen im Moment für ZZ Top auf deren Europatour, aber sie sind ursprünglich aus Joplin, Missouri. Die sind ein junger, verrückter Haufen. Ich mag ihre Musik!
Aber ich wünschte es gäbe mehr Bands wie die. Weil, wie du sagst, zuviele Bands sind einfach zu verkopft. Und so viele Bands haben das Gefühl, dass das Publikum dankbar sein sollte, sie zu sehen – wenn es eigentlich doch genau umgekehrt ist. Ich habe das gelernt, als ich als Strassenmusiker unterwegs war. Wenn du deine Musik zu sehr intellektualisiert, dann wirst du nicht essen. Wenn du keine gute Show ablieferst, wirst du abends schlicht und einfach nichts auf dem Teller haben.
Interview: Lorena Blattner